Tuwela

Gefangene Feenmagie

Ein zweiter Spiegel erscheint und wandelt sich zu einem Tor, durch das ich den Schimmer des Ozeans erhaschen kann. Sonnenschein auf glitzernden Wellen und die weißen Türme Tuwelas. Die Windharfe spielt das Lied, das uns vor allem Unheil bewahrt. Ich kann es hören, selbst jetzt. Er hat sie wieder in Gang gesetzt und ihre Magie zurückgegeben. Diesmal ist es ein Geschenk des Feenkönigs, aus freiem Willen gegeben, um meine Heimat vor dem Zorn des Meeres zu bewahren.


Herrscher: Königin Vivrayne I.

Wappen: Das weiße Einhorn auf blauem Grund

Hauptstadt: Adalian


Tuwela, der sagenumwobene Inselstaat des Nordens. Nur wenige haben ihn je bereisen dürfen, denn das Volk von Tuwela hütet seine Grenzen und achtet streng darauf, wer die Einreise begehrt. So sind die Handelsbeziehungen zwischen Tuwela und den anderen Ländern von Atharys dürftig. Güter verlassen das Land nur selten und gelten als umso kostbarer. Insbesondere die Schmuckschmiede von Tuwela besitzen einen exzellenten Ruf. Schmuckstücke von den Inseln sind auf dem Festland ausgesprochen begehrt, sagt man ihnen nicht nur Schönheit, sondern beinahe magische Eigenschaften nach, die ihrem Träger Glück bringen sollen. Händler, die sie anbieten dürfen, können sich meist an ihrem Reichtum erfreuen.


Dabei unterscheidet sich Tuwela auf den ersten Blick nicht von anderen Ländern. Vielleicht ist das Grün des Grases ein wenig saftiger, die Natur leuchtender, als läge ein Zauber über ihr. Der Himmel wirkt blauer, das Meer glitzernder, die Bäche und Flüsse klarer als an anderen Orten. Selbst die Luft riecht anders. Eine Erinnerung an die Reinheit eines Kristalls liegt darin, schneidend, kühl und von einem Hauch von Schnee erfüllt, der die Gipfel der Berge ziert.


Tatsächlich strömt Magie durch Tuwela. Sie wird in der Existenz der Windharfe sichtbar. Einem riesigen magischen Instrument, das am Hafen der Hauptstadt Adalian steht und mit jedem Windhauch ihr Lied erklingen lässt. Es ist der Schutz Tuwelas, das Lied klar und süß, außer wenn den Inseln Gefahr droht. Dann wird es bedrohlich schrill und warnt davor, dass sich Feinde nähern.


Einst war die Windharfe ein Schutz vor dem Zorn des Feenkönigs. Ein Schild, das die Inseln vor seinem rachsüchtigen Auge geschützt hat. Denn Elouann, die erste Königin von Tuwela aus dem Geschlecht der Ersten, hat es vollbracht, ihm ein Stück seiner Magie zu rauben. Seither fließt Feenmagie in den Adern der Königinnen von Tuwela, besser gesagt, in ihrem Haar, das sie niemals schneiden, um sie nicht zu schwächen. Ein großer Triumph, der jedoch nicht für alle Zeit anhielt. Eines Tages wurden die Saiten der Windharfe zerschnitten und der Schutzzauber versiegte. Die Hauptstadt Adalin wurde beinahe zerstört, als der Schleier über Tuwela fiel und die Rache des Feenkönigs über die Inseln kam.


Allein dem Opfer der damaligen Königin Nimaë ist es zu verdanken, dass Tuwela heute wieder in Frieden existieren kann. Was genau sie opfern musste, ist nicht überliefert. Doch die Magie fließt wieder durch die Inseln und das Königsgeschlecht erfreut sich weiterhin seiner Macht, die dafür sorgt, dass der Inselstaat in Frieden und Wohlstand existieren kann.


Die Magie hat Tuwela vieles geschenkt. Die Wälder sind reich an Wild, die Flüsse und Bäche sind das Heim besonders fetter Fische, und das Klima ist mild. An sich gibt es wenig, das die Abgeschiedenheit von Tuwela erklären könnte, wären da nicht die Geschichten, die man sich in den Tavernen erzählt. Von Einhörnern und mystischen Kreaturen, die in den Wäldern gesehen worden sind und deren angebliche Existenz immer wieder gierige Jäger anzieht, die sich von einem solchen Fang Profit erhoffen. Nixen in den Bächen des Waldes, Greife, Zentauren, Phönixe gar - die Liste der Sichtungen ist lang und verführerisch. Denn tot oder lebendig - ein Geschöpf, das nur in Legenden existiert, wahrhaftig einzufangen, bedeutet ohne Zweifel Reichtum.

Allerdings häufen sich auch die Geschichten über Jäger, die durch eine geheimnisvolle Macht im Wald ihr Verderben gefunden haben. In diesen Erzählungen ist es meist der Wald selbst, der zum Leben erwacht und sich für das versuchte Unrecht bitter rächt.


Im Augenblick sind die Tore von Tuwela offener als gewöhnlich, denn Königin Vivrayne ist auf der Suche nach einem Gemahl und es mangelt ihr nicht an Bewerbern aus den Adelshäusern des Festlandes oder dem Adel von Tuwela. Doch Vivrayne ist wählerisch. Ihre Maßstäbe und Gründe sind nicht bekannt, aber es erstaunt den hiesigen Adel über die Maßen, dass sie in Erwägung zieht, einen Adeligen vom Festland zu ehelichen - etwas, das keine Königin vor ihr getan hat.


Tuweler sind oft eigensinnig. Sie neigen dazu, Fremden zu misstrauen und wirken häufig abweisend auf Reisende aus dem Ausland. Nur selten verspüren sie den Drang, die Welt zu erkunden und die Sicherheit ihres Heimatlandes zu verlassen. Tuwela gibt ihnen alles, was sie brauchen, und sie sind fest mit ihrem Land verwachsen, ohne nach der Fremde zu streben. Entsprechend sieht man sie auch selten als Besucher eines anderen Landes, was sie exotisch und geheimnisvoll wirken lässt.


Adalian

Die Zauberische


Sie ist vom Meer aus weithin zu sehen, die riesige Windharfe, die auf den Felsen über dem Hafen Adalians thront. Das Wahrzeichen der Stadt und des gesamten Inselreichs Tuwela. Das Instrument singt, wann immer der Wind seine Saiten berührt. Es heißt, dass sie einst aus dem Haar von Königin Elouann gefertigt worden seien und dass sie Tuwela seither mit ihrem Lied schützen. Die Töne der Windharfe verwirren all jene, die sich der Stadt mit einer bösen Absicht nähern und führen sie in die Irre. Solange sie spielt, kann kein Feind Tuwelas seinen Fuß auf den Boden dieser zauberisch anmutenden Stadt setzen. Dies besagt die Legende, die sich um die Windharfe rankt, und wer das sachte Lied vernimmt, das bei Tag und Nacht über der Stadt hängt, glaubt nur zu gern daran.


Adalian wirkt auf ihre Besucher, als wäre sie aus reiner Magie erschaffen. Weiße Türme, halb von dem dichten Wald verborgen, der sie in sich einschließt. Prachtvolle Gebäude und zerbrechliche Arkaden, so zierlich und schön, dass man glauben will, sie seien von Feenhand erschaffen worden. Denn welche Menschenseele hätte je vermocht, eine solche Schönheit hervorzubringen? Auch der Königspalast, der in einen Felshügel gebaut worden ist und nur über eine in den Stein gehauene Treppe erreicht werden kann, ist ein märchenhafter Anblick, der nur schwerlich dieser Welt entstammen kann.


Die Straßen Adalians sind sauber. Innerhalb der Stadtmauern scheint es keine Armut und keinen Schmutz zu geben und wer durch die Gassen wandelt, wäre vermutlich nicht verwundert darüber, eine schöne Jungfer auf einem Einhorn entlangreiten zu sehen. Allerdings geht es in Adalian trotz aller Schönheit menschlich genug zu, um diesen Eindruck schnell zu zerstreuen. Lebendige Marktstände, florierende Läden, Kutschen, die über das Pflaster rattern - die Zauberische ist ein lebendiger Flecken, wenngleich die gut ausgebildete Stadtwache Adalians dafür sorgt, dass dieses Leben immer friedlich bleibt.


Die Natur ist in Adalian stets nahe. Es wirkt, als hätte der Wald schützend seine Hand ausgestreckt und seine Finger in der Stadt niedergelegt, sodass das Erscheinen einer Zauberkreatur unter den dichten Blättern und Zweigen nur allzu wahrscheinlich erscheinen will. Und tatsächlich ist die Bevölkerung der Natur so verbunden und nahe, dass man Schreine der Erdmutter unter den Bäumen finden kann. Adalian hat niemals Tempel errichtet oder sich dem Glauben an die Lichtmutter ergeben und Kathedralen erbaut. Stattdessen finden sich in den Schreinen kleine Opfergaben von jenen, die ein Gebet an die Erdmutter gerichtet haben. Ein Adalier bittet niemals um etwas, ohne etwas dafür zu geben.


Wer sich tief in den Wald wagt, der Adalian umgibt, trifft dort vielleicht auf die Waldhüter, eine Gruppe von Männern und Frauen, die sich dem Dienst an der Natur verschrieben haben und oftmals heilkundig sind. Manche von ihnen wirken selbst ein wenig, als wären sie aus den Bäumen geboren. Ihre Haut ist dunkler, ihre Augen erinnern an Laub und manche tragen Male, die unzweifelhaft an Baumrinde erinnern.


Für Adalier sind die Waldhüter heilig. Niemand würde es wagen, einen von ihnen zu verärgern und seinen Zorn zu riskieren. Stattdessen suchen sie ihren Rat oder gar ihren Schutz, bitten sie um Hilfe bei Krankheiten, bei denen alle Ärzte versagen, oder lassen das Baumorakel entscheiden, wenn sie vor wichtigen Entscheidungen stehen. Gibt es einen Glauben oder gar eine Religion in Tuwela, so stehen die Waldhüter gewiss in ihrem Zentrum.


Ist Adalian bereits bei Tage ein atemberaubender Anblick, so stehen die Nächte diesem in nichts nach. Senkt sich Dunkelheit über die Stadt, erglüht diese im Licht der unzähligen Laternen, die von Zweigen herabhängen und sacht im Wind schaukeln. Jeder Flecken der Stadt ist dann in ein sachtes warmes Licht getaucht, das an riesige Glühwürmchen erinnert, die zwischen den Bäumen schwirren. Ihr Licht spiegelt sich in den vielzähligen Teichen und Brunnen, die sich durch die Stadt ziehen, und verwandelt Adalian in ein Lichtermeer.


Für ein solch naturverbundenes Volk wie die Adalier gibt es eine Vielzahl von Festlichkeiten, die sich nach dem Jahreslauf richten. Das größte Fest ist dabei das Erwachen der Natur, ein Frühlingsfest, das traditionell in der Stadt und dem angrenzenden Wald gefeiert wird. Beim Erwachen des Frühlings spielt ein berauschendes Kraut eine Rolle, das Geisteratem genannt wird, und die Sinne für die Geisterwelt öffnen soll. Die Waldhüter entzünden es und begeben sich dann in einen tranceartigen Zustand, bei dem sie Visionen über das Schicksal Tuwelas empfangen. Geisteratem ist ein starkes Rauschmittel, das anschließend in einem zügellosen Fest resultiert, dem viele Geburten folgen. Das Volk Tuwelas konsumiert das Kraut als Getränk, das großzügig ausgeschenkt wird und als Teil der heiligen Zeremonie des Wiedererwachens gilt. Traditionell wird bei wenigen Kindern, die nach dem Erwachen des Frühlings geboren werden, nach dem Vater gefragt.