Nôsryn

Die kalte, stolze, zersplitterte Schönheit

»In Gemea traut man den Nordländern nicht. Wir sind Barbaren, die in den Nächten nackt durch die Wälder tanzen und Naturgötter anrufen.« Sofea hob eine Braue. »Die Meinung in Ethrea scheint sich nicht sonderlich davon zu unterscheiden.«

»Niemand sagt, dass Dämonen klüger wären als Menschen.« Ein leichtes Lächeln ließ die Härte von den Zügen des Dämons schwinden. »Wie hat sie Euch genannt?«

»Sovea.« Der Name fühlte sich seltsam auf ihrer Zunge an. Fremd. Zu lange nicht mehr ausgesprochen, als würde er nicht mehr zu ihr gehören. Und doch vertraut. Ein Teil von ihr. »Sovea Cassjasdyr. Mutters Name ist Cassja. Und Töchter tragen in Nôsryn den Namen ihrer Mutter.«


Herrscher: unabhängige Könige

Wappen: Das Schwert auf weißem Grund

Größte Stadt: Fellshym


Stolz. Kühl. Keine anderen Worte könnten die nordische Schönheit Nôsryn und ihre Bevölkerung besser beschreiben. Nôsryn ist das Land der majestätischen Gebirge und dunklen Seen, in deren Tiefen Wasserfrauen hausen sollen, die mit ihren Liedern arglose Wanderer verführen. Man erzählt von Riesen, die auf den Bergen nahe der Wolken leben sollen, während Zwerge in den Tiefen der Felsen nach Gold suchen. Ein reicher Schatz aus Mythen und Legenden umgibt Nôsryn, doch ob er wahr ist, vermag niemand zu sagen. Jene, die diesen Geschöpfen wahrhaftig begegnet sein wollen, sind meist zu betrunken, um glaubhaft zu wirken.


Nôsryner sind stolz auf ihre Heimat, doch dies ändert nichts daran, dass sie ebenso zersplittert ist wie das Eis, das die Seen zufrieren lässt. Aus den einstigen Stämmen sind kleine Königreiche erwachsen, die ihre Eigenständigkeit nicht lange genug aufgeben können, um einen Hochkönig zu wählen, der sie einen soll. Bemühungen, Nôsryn zu einem einzigen Königreich zu vereinen, sind bislang stets gescheitert und die Stimmen der Könige, die es zum Wohl aller fordern, besitzen ebenso viele Gegenstimmen. Entsprechend behindert Nôsryn sein Wachstum selbst. Die meisten Städte sind klein und viele Königreiche kaum mehr als eine Ansammlung von Hütten, die über eine weite Landfläche verstreut sind.


Traditionell waren Nôsryner gefürchtete Krieger und noch heute besitzen sie ein großes Interesse an Waffen und der Kriegskunst, wenngleich die Zeit ihrer großen Eroberungsfeldzüge, die sie über Atharys geführt haben, lange vorüber ist. Stattdessen kämpfen die Königreiche heute gegeneinander, um ihr Territorium zu erweitern und Macht zu gewinnen. Schließlich mag der Gedanke eines gewählten Hochkönigs auf Gegenwehr treffen, doch dies hindert die Könige nicht daran, selbst eine Vereinigung unter ihrer Herrschaft anzustreben. Kurzlebige Bündnisse sind an der Tagesordnung, ebenso wie Feldzüge gegen den Nachbarn, der über ein besonders ertragreiches Land verfügt.


Nôsryn hat niemals einen fruchtbaren Boden besessen. Die Erträge waren stets karg, die Lebensbedingungen unfreundlich. Also sind die Nôsryner bis heute ein hartes Volk, das es gewohnt ist, für sein Leben zu kämpfen und seinen Vorteil zu suchen. Sie gelten als unnahbar und kühl, es dauert, bis sie ihr Vertrauen schenken oder Freundschaften zulassen. Und diese müssen stets verdient werden.


Seit jeher sind sie geschickte Jäger, die in den dichten Wäldern ihrer Heimat nach Wild suchen und geschickt darin sind, Felle zu verarbeiten. Das Leben in der Wildnis gewohnt, haben sie wenig Sinn für Prunk und Pracht oder unzweckmäßige Dinge. Nôsryner sind vor allem eines - praktisch. Für aufgeblasene Adelige haben sie wenig Geduld, Samt und Seide sind für sie eitler Tand und wenig mehr.


Trotzdem gibt es Nôsryner, die den Versuch unternehmen, das Los ihrer Heimat auf eine andere Weise zu verändern, als ein neues Königreich unter einem engstirnigen König zu schaffen, der sich dem Fortschritt entgegenstellt. Geschickte Händler haben sich in der Hafenstadt Fellshym, der größten Stadt Nôsryns, angesiedelt. Und sie verwandeln Fellshym unermüdlich in eine aufstrebende Handelsstadt. Schiffe werden gebaut und brechen von hier aus auf, um Waren aus Nôsryn in die Welt zu tragen. Insbesondere die Messerschmiede, hervorgegangen aus den ehemaligen Schwertschmieden, sind für ihre großartige Arbeit bekannt. Zudem werden Wissenschaft und Erfindungsgeist gefördert. Nôsryn mag keine landwirtschaftlichen Güter in die Welt bringen können, aber es ist findig genug, um aus dem, was vorhanden ist, etwas Neues zu erschaffen. Und so kommen immer mehr Nôsryner auf der Suche nach dem Glück nach Fellshym an der rauen Meeresküste, um ihr Talent und ihre Visionen anzubieten und ihre Heimat in eine bessere Zukunft zu führen.


Gefördert werden diese Unternehmungen durch die wohlhabende Familie Hellsvyr, die aus dem Ausland nach Nôsryn zurückgekehrt ist und von der man behauptet, dass sie eines Tages durchaus ein wahrhaftiger und verdienter Anwärter auf einen Thron sein könnte. Nôsryn liebt seine Heldengeschichten - also mag es nicht unmöglich sein, dass hier eine moderne Heldengeschichte geboren wird. Nicht mit dem Schwert, sondern mit dem Verstand. Vielleicht wird es dann möglich sein, die Splitter Nôsryns zusammenzusetzen.


Fellshym

Die Entdeckerin


Aufbruch. Wissenschaft. Licht, das sich über die Welt ergießt und ihre Bestandteile greifbar macht. In Fellshym trachtet man danach, dieses Licht so hell erstrahlen zu lassen, dass es bis in den letzten Winkel von Atharys dringt. Und dies ist in jeder Ecke der Stadt zu spüren.


Fellshym verströmt einen rauen, ungeschliffenen Charme. Niemand würde diese Stadt prachtvoll nennen. Nie hat es einen König gegeben, der danach getrachtet hätte, Fellshym zu einem Ort zu erheben, der seine glanzvolle Regentschaft betont. Es gibt keinen Palast, keine Statuen, die auf eine heldenhafte Linie von Regenten hinweisen und ihre Taten versinnbildlichen. Niemand hat Künstler beschäftigt, um altehrwürdigen Glanz festzuhalten und greifbar zu machen.


Viele der Straßen sind noch unbefestigt, viele Bauwerke unvollendet. Die meisten Häuser der Stadt kaum mehr als Holzhütten oder ein Gerüst dessen, was eines Tages ein hübsches Häuschen geben mag. Fellshym ist im Aufbau. In einem rasanten Aufbau jedoch, der rasch voranschreitet und förmlich darauf drängt, vollendet zu werden. Wer nach Fellshym kommt, um sein Glück zu suchen, ist nicht von Geduld beseelt, sondern von der Aufbruchstimmung, die über der ganzen Stadt prickelt und sie in Unruhe versetzt.


Der Markt von Fellshym ist groß und eine Vielzahl von Läden sammelt sich um ihn herum an, um eines Tages ein blühendes Händlerviertel zu bilden. Der Erfolg der Händler ist an den Villen zu erkennen, die sich im oberen Teil der Stadt ansiedeln. Eine der größten mit Gewissheit das Heim der Familie Hellsvyr, der Gründer von Fellshym. Beinahe ist es ein Palast, der aus den restlichen Gebäuden heraussticht, umgeben von einer parkartigen Anlage, die jeden staunend verharren lässt, der sie erblickt.


Nicht weit davon ist die neu erbaute Universität von Fellshym zu finden. Ein prachtvolles, majestätisches Gebäude, das die Erhabenheit von Wissen ausstrahlt. Die Hellsvyr trachten danach, das Wissen dieser Welt in den Hallen der Universität zu sammeln und weiterzugeben. Entdecker und Erfinder fühlen sich von dem Gelände der Universität angezogen und haben ihre Werkstätten um sie herum errichtet. Ein lebendiger, brodelnder Ort, an dem nach Neuerungen geforscht wird und an dem man trachtet, die Welt bis in ihre Einzelheiten zu verstehen.


Fellshym ist kein Ort des Aberglaubens. Kein Flecken, an dem man sich für Magie interessiert oder sich auf ihre kapriziösen Launen verlässt. Die Fellshymer besitzen einen klaren Verstand und sind praktisch veranlagt. Ein anpackendes Volk, das keine verstaubten Traditionen und Gebräuche aufweist, sondern sie neu erschafft. Was man nicht beweisen kann, hat im Leben der Felllshymer einen untergeordneten Platz. Wer hier lebt, blickt selten zurück und meistens sehr zielgerichtet nach vorn - auf das, was kommen mag, wenn man dem Licht vertraut und sich von der Dunkelheit abwendet.


Magieanwender besitzen in Fellshym keinen angesehenen Stand. Dafür jeder Mensch, der bereit ist, mit seiner Hände Arbeit sein Glück zu erschaffen und sein Schicksal nicht von fremden Mächten bestimmen zu lassen. Entsprechend spielt der Glaube eine untergeordnete Rolle in Fellshym. Man wendet sich nicht von ihm ab, doch man misst ihm wenig Bedeutung bei.


Fellshym besitzt die besten Schmiede des Landes und viele talentierte Handwerker, die ihre Werkstätten nahe des Hafens eröffnet haben. Fischer fahren von dort aufs Meer hinaus - womöglich das einzig Traditionelle, das Fellshym aufzuweisen hat und das angesehen geblieben ist. Die Fellshymer wissen um ihre Wurzeln. Sie trachten danach, es besser zu machen als ihre Vorväter, doch sie lieben ihr Land ebenso wie diese und haben ihr kämpferisches Naturell behalten.


Ein Rat der Händler herrscht über Fellshym, aber es wird an allen Ecken getuschelt, dass keine Familie mehr Einfluss besitzt als die Hellsvyr. Hinter vorgehaltener Hand nennt man sie bereits die Könige, allen voran Liw Hellsvyr, den noch jungen Kopf der Familie, der das Geschäft und das Erbe seines Vaters Fry übernommen hat. Liw und sein jüngerer Bruder Sjyr sind die wohl beliebtesten Junggesellen der Stadt - und welche Frau würde nicht danach trachten, den möglichen König ihres Landes für sich zu gewinnen? Es ist eine kuriose Jagd, die in den Häusern der wohlhabenden Händler stattfindet, und sie gibt den Fellshymern einen stetigen Anlass für Klatsch, der genüsslich in den Tavernen ausgebreitet wird. Es soll sogar Wetten geben, die darauf abzielen, die Siegerin zu benennen. Sollte es den Hellsvyr-Brüdern zu Ohren gekommen sein, so haben diese bislang keinen Grund gefunden, sie zu kommentieren. Allerdings darf vermutet werden, dass sie auch nichts tun werden, um diesen Wetten Einhalt zu gebieten - oder sie vorzeitig zu beenden.