Celais

Ein zerbrechlicher Traum aus Glas

Ein kurzer Stich und ein Tropfen Blut quoll aus meinem Finger. Ein roter Flecken, der über meine Haut rann und den Dorn benetzte, der mir die Wunde zugefügt hatte.

Der Feenkönig seufzte und flüchtig glaubte ich, Flammen zu erkennen, die in seinem Haar loderten. Dann senkte er den Kopf. »Es sei, wie Ihr es wünscht.«

Das Bild im Spiegel verschwamm zu einem Wirbel aus Rot und Grau, als der Feenkönig in sein Reich zurückkehrte. Doch etwas in seinem Tonfall, in der Art, wie er mich angesehen hatte, hinterließ eine Gänsehaut auf meinen Armen, die nicht von der Kälte herrührte.

Herrscher: König Clavier II., Gemahlin: Königin Feline

Wappen: Die Schwanenschwinge auf hellblauem Grund

Hauptstadt: Adrís


Celais erschafft Träume aus Glas. So filigran und kunstvoll, dass sie die Tafeln aller Königshäuser von Atharys zieren. Die Glasbläser von Celais sind weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und wer sich durch das Land bewegt, findet überall Hinweise auf ihr einzigartiges Können. Zerbrechliche Figuren, die im Sonnenlicht schimmern, funkelnde Schmuckstücke, die die Auslagen von Geschäften zieren. Wer Glas aus Celais besitzt, verwahrt einen wahrhaftigen Schatz, der viele Goldstücke wert ist.


Doch das Land ist auch über seine Glaskunst hinaus für seine Kunstwerke bekannt, für Schönheit, die so unerreicht ist, dass man munkelt, die Celaier hätten ihre Seelen an die Feen verkauft, um dafür ihre Kunstfertigkeit zu erlangen. Tatsächlich finden sich in den Städten von Celais wenige Makel. Sie sind wie glitzernde Juwelen, die auf das fruchtbare Land gefallen sind. Die Straßen sind sauber, die Parks gepflegte Wunder der Gärtnerkunst und die Paläste des Adels wetteifern darum, die staunendsten Blicke anzuziehen.


So ist es nicht verwunderlich, dass Künstler hoch geschätzt werden und viele aufstrebende Maler, Bildhauer, Musiker und Kunsthandwerker nach Celais kommen, um ihr Glück zu finden. Oftmals entbrennt ein wahrer Wettstreit in den Reihen des Adels, wenn es gilt, zum Mäzen eines besonders vielversprechenden Talents zu werden - und nicht selten werden diese mit schmutzigen Mitteln entschieden.


Auch in den anderen Ländern von Atharys sind Künstler aus Celais ebenso gern gesehen wie die Waren, die das Land verlassen. Celais ist tonangebend. Sei es in der Mode, den Opern, den Theaterstücken oder nur in der Etikette. Celais rühmt sich der makellosen Manieren seiner Bevölkerung, die bereits mit der Muttermilch aufgesogen wird. Allerdings steht das Volk von Celais auch in dem Ruf, unterkühlt zu sein, was das Gerücht nährt, dass es viele Feenblute unter ihnen gibt.


Es mag daran liegen, dass Celaier früh lernen, ihre Gefühle zu verbergen, weil ein allzu emotionales Auftreten verpönt ist. Und womöglich sind die Erzählungen von Feen, die sich auf Bällen unter den Adel mischen und in seinen Kreisen verkehren, aus reinem Neid geboren. Doch andererseits mag auch ein wahrer Kern darin liegen. Betrachtet man die Tatsache, dass viele der talentiertesten und erfolgreichsten Künstler des Landes körperliche Makel aufweisen, ist die Vermutung naheliegend, dass Magie im Spiel sein könnte.


Feen lassen sich ihre Gunst stets hoch bezahlen - und so findet man auch in den reichsten Adelshäusern mit den erfolgreichsten Geschäften immer wieder Merkmale, die man nur zu leicht auf die Einwirkung der Feen zurückführen könnte. Diese werden zwar verborgen, so gut es möglich ist, doch sie treten immer wieder zutage und geben Anlass für gehässige Tuscheleien. Trotz aller Versuche lässt sich der Schmutz hinter den Fassaden nicht für immer verbergen und die Suche danach ist für viele ein lohnender Zeitvertreib. Und so lässt sich die Behauptung, dass in Celais die Feen nicht gefürchtet, sondern willkommen sind, einfach nicht zum Schweigen bringen.


Bei all der Schönheit, all dem Reichtum und Glanz mag es natürlich sein, dass die restlichen Länder von Atharys es mit einer gewissen Genugtuung betrachten, dass Prinzessin Léann, die Tochter von König Clavier, alle Bewerber um ihre Hand regelmäßig in die Flucht schlägt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ihr immer wieder ihre eigenen Hofdamen vorgezogen werden, was ihren Vater beinahe in die Verzweiflung treibt.


Woran es liegen mag, gibt Anlass zu allerlei Klatsch - und Schloss Schwanentanz im Herzen der Hauptstadt Adrís zieht viele neugierige Blicke auf sich, die sich nur zu gerne davon überzeugen möchten, dass Léann tatsächlich ein missgestaltetes Ungeheuer ist. Von den Feen gezeichnet und verflucht soll sie bei Vollmond ihr wahres, grausiges Gesicht offenbaren. Annahmen, die ebenso wohlig hervorgebracht werden, wie sie hässlich sind - und weit von der Wahrheit entfernt.


Adrís

Der Schwan


So weiß wie ein Schwan und in der Form von zwei Schwingen angelegt, die sich schützend um den Palast legen, verkörpert Adrís das Wappen der Königsfamilie in Perfektion. Wer von den nahen Feenbergen hinabblickt, erkennt das Wappentier, das sich an den glitzernden Lauf des Islyn schmiegt, mühelos.


Adrís ist ein Kunstwerk. Von den sauberen Straßen, die von blühenden Rosenbeeten geschmückt werden, bis hin zu den weißen Villen im Adelsviertel. An jedem Flecken finden sich Zeugnisse der Kunstfertigkeit, für die Adrís berühmt ist. Statuen blicken von weitläufigen Plätzen auf ihre Besucher hinab, Mosaike schmücken den Boden, über den Reisende flanieren, um die Sehenswürdigkeiten zu betrachten. Brunnen werden von beinahe lebensechten Nixen bevölkert, auf denen Wassertropfen im Sonnenschein glänzen, und geschwungene Brücken beugen sich über die kleineren Kanäle, die vom Islyn ausgehend die Stadt durchziehen.


Ein besonderes Wunder ist die Glasstraße, die stets staunende Rufe bei jenen hervorruft, die sie noch nie erblickt haben. Ein Kunstwerk aus farbigem Glas, an dem sich die Läden und Werkstätten der Glasbläser aneinanderreihen wie Perlen. Figuren säumen die Glasstraße und verwandeln sie in eine Wunderwelt. Einhörner, deren Hörner im Licht schimmern und die im Mondlicht wie aus Silber gegossen erscheinen. Drachen und Greife, tanzende Nymphen - die Fantasie und Kunstfertigkeit der Glasbläser kennt keine Grenzen. Man wispert, dass den Figuren Magie innewohnt und sie vor dem Zerbrechen schützt - allerdings wagt kaum ein Adríse, sie überhaupt zu berühren. Denn es heißt, dass jeder, der eines der Glaskunstwerke beschädigt, von einem Fluch heimgesucht wird. Und die Geschichten über Narren, die dies auf die Probe stellen wollten und ihr Verderben gefunden haben, kursieren in solch großer Zahl, dass man nicht umhin kommt, ihnen einen gewissen Wahrheitsgehalt zuzubilligen.


Doch so schön und strahlend Adrís von außen erscheinen mag - im Inneren ist die Stadt keineswegs so harmonisch und friedlich. Die Konkurrenz zwischen den Künstlern ist groß. Und wer die Malerstraße oder die Bildhauergasse besucht, wird nicht selten Zeuge von heftigen Streitigkeiten und Intrigen, die den Ruf eines Konkurrenten ruinieren sollen.


Das Künstlerviertel von Adrís ist ein lebhafter Flecken, an dem sich mit Gewissheit die besten Künstler des Landes versammeln und wahre Wunder geschaffen werden. Aber gelegentlich landen Farben nicht auf der Leinwand, sondern auf dem neusten Werk der Konkurrenz oder im Gesicht eines Kunden, der nicht zahlen möchte. Musik erklingt aus offenen Fenstern, Dichter rezitieren ihr neuestes Werk auf weitläufigen Plätzen, Gesangsproben schweben durch die Luft und Schauspieler lassen sich von Bewunderern anhimmeln. Bei Tag und Nacht versiegt das Leben nicht, zieht sich durch Tavernen, in denen aufstrebende Künstler auftreten - oder jene, die nicht mehr das Gefallen des gehobenen Publikums finden.


Letztlich konkurrieren alle Künstler von Adrís um die Aufmerksamkeit eines mächtigen Mäzens oder gar es Königshauses, das dafür bekannt ist, die besten ihrer Zunft zu fördern. Wer es schafft, zu einem Auftritt in Schloss Schwanenschwinge geladen zu werden, jenem weißen Bauwerk, das auf einem Hügel inmitten der Stadt thront, kann sich gewiss sein, dass sein Ruhm bis ins Unermessliche wachsen wird.


Adrís gilt in Celais als das Zentrum des Landes. Wegweisend in jeder Hinsicht, geben die Adrísen stets den Ton an. Sei es in der Mode, der Musik, der Kunst oder der Literatur. Das Vergangene erfährt wenig Beachtung - wenn es nicht den Ruhm der Stadt und ihre Bedeutung gemehrt hat. Dann wird es in den Salons nur zu gern zitiert.


Die Adrísen waren ihrer Monarchie stets treu ergeben und so herrscht König Clavier von Adrís aus unangefochten über sein Land. Zwar überträgt er seinem Kronrat - hochgestellten Adeligen - vielerlei Aufgaben, doch ihm obliegt letztlich die alleinige Entscheidungsgewalt über die Geschicke von Celais. Dennoch gibt es auch jene, denen so viel Macht in einer einzigen Hand missfällt. Und so hat sich in Adrís der Rat der Zünfte gebildet, der gemeinsam auftritt, wenn es darum geht, die Belange der Künstler und Handwerker der Stadt vor den König zu bringen. Und das Beispiel macht Schule, denn auch andere vereinen ihre Stimmen, damit sie deutlicher gehört werden und mehr Einfluss auf die Entscheidungen es Königs erlangen.


Bemerkenswert ist gewiss noch das jährlich stattfindende Kristallfest - jene rauschende Festlichkeit, bei denen die Glasbläser über den Lauf einer Woche den Wettkampf um das großartigste Kunstwerk austragen. Viele Bälle finden zu dieser Zeit statt, unzählige Besucher füllen die Straßen und Adrís wirkt um das Fest herum an vielerlei Orten tatsächlich wie ein glitzerndes Juwel, das von Sternstaub übersät ist.