Die Fischerinseln

Blut des Ozeans

Der Wind blies das helle Haar in Adyons Gesicht, als er in den Ozean schritt. Meerschaum leckte an seinen Stiefeln und die Wellen fassten nach ihm, als wollte die Nixenkönigin ihren neuen Gemahl willkommen heißen. Er vernahm das Wispern der Nixen. Ihr leises, lockendes Lied, mit dem sie den neuen König der Fischerinseln willkommen hießen. Dann tauchte er in das aufgewühlte Wasser. Die Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen und silbrige Fischschwänze schimmerten auf, als die Nixen einen Reigen um ihn tanzten und die Muschelkrone auf sein Haupt setzten.

Die Einwilligung der Nixenkönigin.

Die Luft strömte aus Adyons Lungen, als er die Augen schloss und sich der Umarmung des Ozeans überließ. Wissend, dass er niemals in seinen Fluten ertrinken würde.


Herrscher: König Adyon, der regierende Fischerkönig

Wappen: Der silberne Dreizack vor einer blauen Welle auf weißem Grund

Hauptstadt: Osria


Aus den Tränen von Mutter Ozean geboren, die ins Meer gefallen und zu Felsen erstarrt sind. Dies erzählt sich das Seevolk über die Geburt seiner Heimat und wer den auffallend silbrig glänzenden Stein im Sonnenschein erblickt, ist nur zu geneigt, daran zu glauben.


Die Fischerinseln sind vom Wind geküsst und haben viele Stürme überstanden. Rau und aufgewühlt wirkt das Meer, das die Fischerinseln umgibt. Und doch ist es ruhig und sonnig, wann immer die Fischerboote und majestätischen Schiffe des Seevolkes ihre Häfen verlassen. Als wären die Geschichten vom Segen der Nixen und dem Schutz der Nixenkönigin wahr, die sich um die felsige Inselkette ranken. Und tatsächlich hat es seit Bestehen des Inselreichs niemals eine Macht gegeben, die es vermocht hat, die Inseln für sich zu beanspruchen. Kein feindliches Schiff ist je durch die spitzen Felsen vor den Inseln gelangt oder hat den stürmischen Wellen des Ozeans standgehalten.


Man sagt, dass die Bewohner der Fischerinseln Meerwasser anstelle von Blut in den Adern tragen. Und für jeden von ihnen ist dies keine Beleidigung, sondern eine Ehre. Der Glaube an Mutter Ozean ist in der Bevölkerung der Inseln stark verbreitet und hat dafür gesorgt, dass die Kirche des Lichts nur selten Fuß fassen konnte. Das Seevolk besitzt stattdessen eine Reihe von Ritualen, die unter freiem Himmel an den Fels-Altaren der Meerespriester stattfinden. Eheschließungen, die Übergabe von Toten an das Meer, Gebete - niemals begeben sich die Bewohner der Fischerinseln in den Schutz einer Kirche, wenn sie Mutter Ozean die Ehre erweisen und niemals meiden sie das Wetter, das ihnen von der Göttin gesandt wird. Regen bedeutet, dass Mutter Ozean trauert. Ein Sturm, dass sie zornig ist. Und Sonnenschein steht für den Segen, den sie ihren Kindern spendet.


Die Inselkette der Fischerinseln besteht aus fünf großen Hauptinseln und mehreren kleinen Inselsplittern, die sich um diese herum verteilen wie Perlen zwischen den größeren Juwelen eines Kolliers. Dabei ist Acris die größte der Inseln und jene, von der aus der Fischerkönig über sein Volk herrscht.


Der Fischerkönig wird nach dem Tod des herrschenden Regenten jedes Mal von den Inselfürsten aller Inseln neu gewählt. Dazu kommt man in der Königshalle zusammen - dem von Muscheln verzierten Palast von Acris, der hoch auf den Felsen über der Hauptstadt Osria thront. Es ist ein großes Ereignis, bei dem die Fürsten auf ihren Flaggschiffen und von ihren Familien begleitet im Hafen von Osria einlaufen, um in einer Prozession in den Farben ihrer Wappen hinauf zur Königshalle zu ziehen. Dort besitzt jeder Kandidat in der Halle der Entscheidung eine gesegnete Urne, gehauen aus dem Felsen der Fischerinseln, in das die Fürsten ihr Muschelstück werfen.


Ist ein neuer König gewählt, so findet im Meer dessen symbolische Vermählung mit der Nixenkönigin statt. Jener Kreatur, die als die geliebte Tochter von Mutter Ozean gilt und ihre schützende Hand über die Fischerinseln hält. Entsprechend darf der König weder verheiratet sein noch jemals eine Sterbliche heiraten, was die Kandidaten begrenzt. Häufig gibt es also in jeder Fürstenfamilie einen Sohn, der nicht heiraten darf - und oftmals sind die Zweitgeborenen jene, die der Nixenkönigin als mögliche Könige vorbehalten sind.


Kein König darf die Nixenkönigin jemals verärgern oder die Ehe brechen, sonst wird großes Unglück über die Fischerinseln hereinbrechen. Daran glaubt die oft abergläubische Bevölkerung fest. In den Tavernen kann man stets einen Seemann finden, der über die Nixen berichtet, die die Schiffe der Fischerinseln begleiten. Kreaturen der Nixenkönigin, die dafür Sorge tragen, dass die Schiffe und Boote der Inseln stets sicher durch jeden Sturm segeln und wieder in den Heimathafen gelangen, ohne verloren zu gehen. Und tatsächlich - niemand segelt so geschickt über die Meere dieser Welt wie das Seevolk der Fischerinseln. Nirgends werden bessere und schnellere Schiffe gebaut und nirgendwo findet man fähigere Seeleute.


Eine Vielzahl von Ritualen werden von dem Seevolk der Fischerinseln praktiziert. Dazu gehört, dass jeder Kapitän vor Antritt einer Reise einige Tropfen seines Blutes in das Meer fallen lässt, um sie den Nixen zu opfern und sie um eine sichere Reise zu bitten. Seemänner sind abergläubisch und so besitzen sie Traditionen und Gebräuche, die zwingend eingehalten werden müssen oder großes Unglück nach sich ziehen. Kein Seemann der Fischerinseln würde es jemals wagen, die Nixen oder ihre Königin zu beleidigen, denn wer dies wagt, riskiert nicht weniger als sein Leben.


Die Bewohner der Fischerinseln sind ein raues, ungezähmtes Volk. Frei wie der Wind, der über den Ozean streift, mit einem wiegenden Gang, der ihnen bereits in die Wiege gelegt worden ist. Beinahe jeder versteht sich auf die Grundlagen der Schifffahrt und die Fischerinseln tragen ihren Namen nicht umsonst. Nirgends findet man frischeren Fisch als auf den Märkten der Inseln, genauestens beobachtet von den Möwen, die über den Himmel segeln, um sich die fettesten Exemplare zu schnappen.


Allerdings besitzen die Fischerinseln neuerdings einen zwielichtigen Ruf. Denn Adyon, der regierende Fischerkönig, steht in dem Ruf, Freibeuter um sich zu sammeln, die Handelsschiffe überfallen, um den Reichtum der Inseln zu mehren. Piratenkönig, so nennt man ihn hinter seinem Rücken. Vielleicht ist dieses Gerücht nur aus der Tatsache geboren, dass Adyon weitaus jünger ist als seine Vorgänger und kriegerischer wirkt. Doch vielleicht ist es wahr, dass er die Piraten der Sturmhöhlen um sich gesammelt hat, um sie zu vereinen und zu einer Klinge zu schmieden, die für die Fischerinseln ins Gefecht zieht.


Osria

Die Wasserstadt


Rau weht der Wind über Osria und trägt die Schreie der Möwen über die Stadt. Und rau ist auch die Hauptstadt der Fischerinseln. Wo andere Städte auf Atharys sich mit Pracht und Prunk überbieten, ist Osria ein ungeschliffenes Juwel, das auf den ersten Blick wenig Liebenswertes offenbart. Und doch ist diese raue, ungeschliffene, ungezähmte Stadt eine Besonderheit unter all den Städten dieser Welt. Aber es sind nicht die schlichten Steingebäude, die sich aus den Felsen am Rande des Nordmeeres erheben, nicht der silbrig glänzende Stein, der Osria schützend in seine Umarmung schließt. Es ist die Wasserstadt. Der alte Hafen von Osria, in dem jene Schiffe ruhen, die nicht mehr auf das Meer hinaus segeln. Allerdings ist dieser Ort weit davon entfernt, ein stiller Friedhof zu sein.


Ein Teil der Bevölkerung der Stadt hat sich dort ein eigenes Reich errichtet und bewohnt die alten Schiffe, die nicht mehr seetüchtig sind. Planken verbinden die Schiffswände miteinander und bilden zusammen mit Seilen Wege, die zu den Marktschiffen führen, die allerlei Waren feilbieten, oder zu den Tavernen, die in alten Schiffsbäuchen ruhen. Nicht selten kommen im Gewirr der alten Segel und Masten jene zusammen, die das Licht des Tages scheuen, und es heißt, dass es nichts gibt, das man in der Wasserstadt nicht bekommen kann, wenn man bereit ist, den Preis dafür zu bezahlen.


Laternen beleuchten die sacht schwankende Wasserstadt in der Nacht und verwandeln sie in ein glitzerndes Lichtermeer, das sich im Wasser spiegelt. Beinahe ist es ein magischer Anblick und wer ein leises Plätschern vernimmt und schnell genug seine Quelle findet, kann vielleicht sogar eine Nixe entdecken, die wieder in die Fluten taucht und in der Dunkelheit des Meeres verschwindet. Ein silberner Schimmer nur, von dem man kaum mit Gewissheit sagen kann, ob er vielleicht nur eine Täuschung gewesen ist.


Der neue Hafen mit den stolzen, seetüchtigen Schiffen dagegen ist dem Handel gewidmet und mündet in den Markt von Osria, jenen ausgedehnten Platz, auf dem nicht allein der riesige Fischmarkt sein Zuhause findet. Bis in die Seitengassen erstrecken sich die Marktstände, an denen man Waren aus vielen Teilen der Welt erwerben kann. Es ist ein lauter, belebter Ort, an dem es häufig zu Streitigkeiten kommt und an dem Taschendiebe ein sehr lukratives Betätigungsfeld finden.


Eine Statue der Nixenkönigin wacht über den Markt. Ein prachtvolles Abbild, das aus dem Stein der Fischerinseln gemeißelt worden ist. Die glitzernden Schuppen auf ihrem Körper sind beinahe glattgeschliffen von unzähligen Händen, die den Körper der Nixe berühren und um ihren Segen bitten, der Glück verheißt.


Zum Ende jeden Jahres kommen die Bewohner von Osria hier zusammen, um der Nixenkönigin ein Opfer darzubringen und um ein segensreiches neues Jahr zu bitten. Meist handelt es sich dabei um das beste Werk eines Handwerkers, das er für die Nixenkönigin aufbewahrt hat, um kostbare Speisen oder eine andere teure Ware, mit der die entsprechende Familie ihren Lebensunterhalt bestreitet. Und jedes Jahr gibt es jene, die in der Nacht darauf harren, dass sich der Trubel legt und die Stadtwache beide Augen schließt - es sind die Ärmsten der Stadt, jene, die nicht vom Glück gesegnet sind, die sich hier ein Stück des Segens holen, um ihr Los zu erleichtern. Die Nixenkönigin scheint es zu dulden, denn man hat nie davon gehört, dass diese segensreiche Nacht sie zu Zorn verleitet hätte.


In Osria gibt es wenig Platz für Künstler und Träumer, fern von den Steinschnitzern, die jedes Haus mit einem Abbild der Nixenkönigin und Schuppenmustern verzieren. Musiker sind hier jedoch stets willkommen und finden jederzeit eine Taverne, in der ihre Darbietungen für die Nacht erwünscht sind.


Ihre größte Stunde schlägt jedes Jahr zur Wellentaufe, jenem Fest, bei dem die neuen Schiffe zu Wasser gelassen werden und ihre erste Fahrt antreten. Dann ist Osria mit bunten Bändern und Blumen geschmückt, das Volk kleidet sich in seine besten Kleider und Musik klingt aus allen Gassen der Stadt. Bis in die Nacht wird auf dem Marktplatz unter den Augen der Nixenkönigin getanzt und gefeiert. Der berühmte Nixenkuss, ein sehr hochprozentiger Branntwein, fließt in Strömen, und hoch über Osria ist die Muschelhalle in ein glühendes Licht getaucht. Denn dort findet der Ball des Fischerkönigs zu Ehren seiner Gemahlin statt - eine Nacht, in der er selbst der Einzige ist, der niemals tanzt.


Traditionell segnet der König am Morgen der Wellentaufe jedes neue Schiff mit einer Flasche Nixenkuss, die an Bord über die Planken geschüttet wird, und einem Beutelchen voller Silbermünzen, das Wohlstand und gute Geschäfte symbolisiert. Zum Schluss überreicht er dem Kapitän eine Laterne mit dem königlichen Wappen, die die Hoffnung auf eine sichere Heimkehr versinnbildlicht. Meist erhält diese einen Ehrenplatz auf dem Schiff und man sagt, dass ihre Unversehrtheit und ihr Leuchten in der Dunkelheit Glück bringen. Es verwundert nicht, dass sie selten an einer gefährdeten Stelle aufgehängt wird.


Osria ist eine Stadt, die viele Gesichter besitzt. Eines davon verbirgt sich vor den Augen der Welt und sitzt tief in den Felsen, die Osria wie eine natürliche Mauer schützen. Man nennt sie die Nester. Höhlen, in denen jene verkehren, die nicht auf der Suche nach ehrlichem Handel in die Welt segeln. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Piraten aus den Sturmhöhlen die Nester bevölkern. Ein Labyrinth aus finsteren Tavernen und Wohnstätten, das nur betritt, wer von den Wachen eingelassen wird. Und man munkelt, dass König Adyon einer von jenen ist, der häufig in den Nestern Einlass findet, sobald der Mond am Himmel steht.