Die Magie des Mondes (Feenmagie)

Die Macht des Mondlichts

Der Marmor unter ihren Füßen barst und Maja stieß einen erschrockenen Schrei aus, als Silberfeuer aus den Rissen schoss.

Corvyn taumelte zurück und sank auf die Knie, als ob ihm etwas einen Stoß versetzt hätte. Instinktiv trat sie auf ihn zu und er sah auf, als er es bemerkte.

»Nicht!«

Sein Ruf ließ sie innehalten. Klingen wuchsen um ihn herum empor. Schwerter aus gleißendem Silberlicht, die ihn umschlossen wie ein Käfig. Sie bewegten sich sacht, wie Schilfgras, das vom Wind gestreichelt wurde. Majas Herzschlag stockte, wann immer sie sich näher zu Corvyn neigten, spielerisch, als ob sie ihn necken wollten. Und doch wusste sie, dass ihre Weichheit nichts als eine Täuschung war.

Die Magie dieser Welt entspringt aus vielfältigen Quellen. Manchmal ist sie von der Natur gegeben und verleiht die Macht, die Elemente zu beherrschen. Manchmal ist sie der Berührung eines Elementes zu verdanken, das Wurzeln in den Adern eines Sterblichen geschlagen hat, ein anderes Mal schlummert sie wie Licht im Inneren eines Heilkräftigen.


Doch wer sie in ihrer Gesamtheit beherrschen will, greift auf die Gabe zurück, die Nystraë, der Herr der Schatten, Gott der Magie, in die Welt getragen hat. Es ist die Magie, die mit dem Mond anschwillt und abnimmt, die bei Vollmond zu ihrer vollen Stärke gelangt und bei Neumond nur einen Hauch ihrer Kraft entfaltet. Die Magie der Hexen von Gemea nährt sich aus dieser Macht, von Ritualen und der Sprache der Magie in ihre endgültige Form gebracht wie ein Stück Stahl, das unter dem Hammer eines Schmiedes geformt wird. Und so mag es nicht verwundern, dass Zauber, die eine große Kraft freisetzen sollen, stets bei Vollmond gewoben werden. Es mag widersinnig anmuten, dass der Mond, der den gelehrten Hexen ihre Kraft verleiht, ebenso das Himmelsgestirn ist, das sie durch Seraphias Fluch am meisten zu fürchten gelernt haben.


Nystraës Macht ist jene Magie, aus der die Feen geboren sind und die in ihren Adern fließt wie flüssiges Mondlicht. Im Reich des Mondes, das von Nystraë regiert wird, ist sie schier unerschöpflich. Eine Quelle, die niemals versiegt und die alles erschaffen kann, was ein Geist sich vorzustellen vermag. Doch im Reich der Sonne ist sie kaum mehr als ein Schatten davon. Unermesslich in den Augen eines Sterblichen, gewiss, und ebenso verlockend. Und doch schwindet sie wie eine Illusion, sobald die Sonne, Dinëis’ Macht, die Regentschaft über die Welt übernimmt.


Allein der König der Feen ist in der Lage, wahrhaftig Wünsche zu erfüllen und Dinge zu erschaffen, die von Dauer sind. Jede andere Fee kann kaum mehr als ein Trugbild über den Geist desjenigen weben, der daran glauben möchte. Sie kann ein Schauspiel in der Nacht inszenieren, Sinne bezaubern und betören und ihre Beute wahrhaft süchtig nach dem Glanz machen, den ihre Magie in ihr Leben trägt. Doch geht die Fee, lässt sie selten mehr zurück als die Hoffnung, dass sie wiederkehren möge.


Es ist eine Form der emotionalen Abhängigkeit. Eine Fee frisst sich in den Geist ihres Opfers, verklärt ihn und nährt sich von seinen Gefühlen, bis es bereit ist, ihr aus freiem Willen hinter die Spiegel zu folgen. Ein Spielzeug, ein Beutestück, das bleibt, nicht an den Wandel von Tag und Nacht gebunden. Ein Mensch im Reich der Feen, der zu seinem Untergang verdammt ist.


Manche davon kehren wieder in die Welt der Sonne zurück, ihrer Seele beraubt, die im Reich der Feen verloren gegangen ist. Warum sie sich verirrt, wohin sie geht - das mögen allein die Feen beantworten können. Vielleicht ist es eine Form von Wahnsinn, der den Geist eines Menschen trifft, der zu starker Magie ausgesetzt wird, ähnlich dem Mondwahn, der die Hexen von Gemea ihres Verstandes beraubt, wenn die Ströme der Magie eine solch große Macht erlangen, dass sie einen sterblichen Verstand in ihren Flammen verbrennen. Und gibt es eine Heilung dafür, so hat bislang niemand vermocht, sie zu finden. Vielleicht ist es aber auch der König der Feen, der Seelen gefangen nimmt und sie nicht mehr entkommen lässt - zu welchem Zweck jedoch und ob der Feenwahn nur eine einzige Ursache kennt, bleibt eine Frage, auf die niemand außer ihm eine Antwort kennt.


Jede Fee ist mit einer besonderen Gabe geboren. Manche besitzen zauberische Stimmen, andere besitzen eine Neigung zu einem bestimmten Element und bedienen sich dessen vorrangig, oder sind mit einer solch unglaublichen Schönheit gesegnet, dass ein Blick genügt, um jeden Sterblichen in ihren Bann zu ziehen. Oftmals ist diese Gabe wie ein Mantel, in den sie sich kleiden, ein Erkennungsmerkmal, das sie von den anderen unterscheidet und das sie selten ablegen. Denn Einzigartigkeit, etwas, das ihnen die Fähigkeit verleiht, aufzufallen und aus der Masse herauszustechen, lässt sie im Gedächtnis ihres Königs verbleiben. Also schleifen sie ihre Magie dazu, vervollkommnen sie, und verleihen ihr diese eigene, unverkennbare Handschrift, die keine zweite Fee besitzt und die sie eifersüchtig hüten.