Die Spaltung der Welt

»Was ist widersinnig für Kreaturen, die über die Macht verfügen, Welten zu erschaffen? Welche Strafe ist unmäßig, um einen ungehorsamen Sohn zu bestrafen? Und wie kann man Herzlosigkeit besser sühnen, als inmitten von Einsamkeit und Gleichgültigkeit? Dies war mein Königreich und nun ist es mein Gefängnis. Sein niederes Volk ist aus den Albträumen geboren, die mich in den Nächten heimsuchen. Jeder Traum gebiert eine neue Kreatur, eine neue Lebensform, die es bevölkert. Doch keine von ihnen füllt die Leere in mir.«


... und obgleich die Hüterin des Lichts und der Herr der Schatten Mächte waren, die niemals eins werden konnten, konnten sie nicht voneinander lassen. Und aus ihrer Leidenschaft entsprang ein Sohn, den sie Astarias Heleion nannten, die Vereinigung von Sonne und Mond, von Tag und Nacht. Jener, der niemals sein konnte und doch war.


Astarias wuchs heran, der geliebte Sohn seiner Eltern und die Freude, die sie verband, während sie gemeinsam eine Welt schufen, über die er fortan herrschen sollte. Als ihr König, Hüter, der Beschützer allen Lebens.


Und so wurde Atharys aus ihrer Macht geboren und die Hüterin des Lichts schenkte der Welt die Menschen, die sie bevölkern sollte, um ihrem Sohn Gesellschaft zu leisten. Kreaturen, deren Leben kurz war wie eine Flamme im Wind, doch in deren Herzen Leidenschaft brannte. Sie schenkte ihnen die Fähigkeit, zu lieben, wie sie ihren Sohn liebte, und Mitgefühl. Schlagende Herzen und die Fähigkeit, mithilfe ihres Geistes und ihrer Hände Arbeit Wunder zu erschaffen.


Doch der Herr der Schatten war nicht zufrieden mit den Menschen. Ungenügend waren sie. Zu schwach, um die Ströme der Magie in sich zu tragen, zu wenig göttlich, um der Herrschaft seines Sohnes würdig zu sein. Der Streit darüber entzweite die Liebenden und die Einheit, die Atharys geschaffen hatte, zerbrach inScherben.


Doch auch Astarias tat sich schwer, die Sterblichen zu lieben, denn er kam nach seinem Vater und die Welt der Magie faszinierte ihn über alle Maßen, während die Menschen ihm zu zerbrechlich und zu schlicht erschienen. Wie Tiere, die man für eine Weile streichelte, Blumen, die verblühten und vergessen wurden. Zu stumpf, um seinen Geist zu fesseln. Und so war Astarias nur zu willig, seinem Vater zu folgen, als dieser seine einstige Liebste betrog.


Der Herr der Schatten bohrte einen Stachel aus Eisen in die schlagenden Herzen der Sterblichen und ließ sie gefrieren. Er löschte die Flamme der Leidenschaft, die sie antrieb, und formte ihre Körper neu. So schön, so makellos, bis sie der Makellosigkeit seines Sohnes angemessen waren.

Und Astarias’ Wunsch erweckte sie zu ihrem neuem Leben. Seine schöpferische Macht ging auf Atharys nieder und schuf die Geschöpfe der Magie. Denn diese Welt war die seine und in ihm ruhte die Macht, sie neu nach seinen Wünschen zu formen.


Unsterblich waren sie und niemals von der Zeit berührt. Mächtig und nicht von Gefühlen beseelt, die sie davon ablenken würden, eine perfekte Welt zu erschaffen, die seiner angemessen war. Überlegene Kreaturen, die niemals auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sein würden, weil ihnen die Magie gehorchte.


Ein ideales Geschöpf, so viel mehr als ein Mensch ...


... und so leer, dass es gedankenlos Leben nahm, sobald es den Boden der Welt betrat. Dass es Leben zerquetschte wie eine Fliege, ohne jemals Reue zu empfinden. Ein Geschöpf, das die neu erschaffene Welt vernichten würde, ohne es zu bemerken.


Das Volk der Feen, so nannten sich die neu erschaffenen Geschöpfe. Kreaturen des Mondes, die sich die Welt mit einem Blinzeln Untertan machen konnten. Und die Menschen zogen sie unwiderstehlich an, wie Motten vom Licht angezogen wurden. Doch die Feen verstanden nicht, dass die Sterblichen so viel zerbrechlicher waren als sie selbst und so zerbrachen sie sie innerhalb eines Wimpernschlags wie ein Kind, das sein Spielzeug zerbrach, weil es seine Kräfte nicht einschätzen konnte.


Es dauerte nicht lange, bis die Hüterin des Lichts erfuhr, was ihr Sohn und ihr Geliebter getan hatten. Und sie sah das Unheil, das über die Welt und die Kinder der Sonne gekommen war. Ihr Zorn ging in einem mächtigen goldenen Blitz auf Atharys nieder und spaltete mit einem erschütternden Einschlag die Welt. Die Geschöpfe der Magie wurden hinter eine Mauer geworfen und das Sonnenlicht erlosch über ihnen und nahm ihnen seine Wärme.


„Ihr wolltet mehr“, sprach sie und ihre Stimme ging über die Welt hinweg wie ein Sturm. „Und dafür habt ihr mich verraten. Das Licht der Sonne war nicht genug für euch, also sollen eure Kreaturen in den Schatten leben.“


Ihr Blick richtete sich auf ihren Sohn und ihre Hand wies auf die zerbrochenen Menschen, von den Feen zurückgelassen wie wertloser Tand.


„Sieh, was du getan hast. Sieh, was deine Geschöpfe getan haben, Astarias Heleion. Du solltest das Licht dieser Welt sein, doch du hast dich für die Dunkelheit entschieden und sie in die Umarmung der ewigen Nacht fallen lassen.“


Astarias blieb stumm und die Hüterin des Lichts fand keine Reue auf seinen kalten Zügen, kein Mitgefühl. Keine Regung. Nur den unerschütterlichen Glauben, dass sein Werk besser war als die Schöpfung seiner Mutter. Dass diese Welt die Welt war, in der er fortan leben, über die er herrschen wollte.

Und so senkte sie den Kopf und hob ihre Hände.


„Es sei, wie du willst. Aber ich werde nicht dulden, dass die Dunkelheit deines Herzens zerstört, was dir geschenkt wurde.“


Ihre Worte waren kaum verstummt, als ihr Segen aus den Feen wich und ein Fluch an seine Stelle trat. Nur in der Nacht, wenn die Sonne die Herrschaft über Atharys verlor und der Hüter des Schattens herrschte, konnten die Geschöpfe der Magie über die Welt wandeln. Denn sobald das Licht der Sonne ihre Haut berührte, würde es sie in Asche verwandeln. Die Göttin des Lichts nahm den Kreaturen ihres Sohnes die Fähigkeit, zu töten. Denn wenn sie ein Leben stahlen, bezahlten sie es mit der Magie in ihren Adern. Sie verwitterten und welkten wie eine Blume, die kein Wasser mehr erhielt. Sie konnten nicht lügen. Denn jede Lüge, die über ihre Zunge kam, ließ sie bluten, als hätte eine Klinge hineingeschnitten.


Nie mehr sollten sie achtlos das Leben eines Menschen stehlen oder ihn mit Worten täuschen. Niemals wieder sollten sie mit ihm spielen können, wie es ihnen beliebte.


Und letztlich traf der Fluch der Hüterin des Lichts ihren Sohn.


Denn auch er sollte niemals mehr frei in der Welt der Sonne wandeln. Auch er würde nicht länger den Segen seiner Mutter in sich tragen, denn auch ihn würde das Licht der Sonne verbrennen, bis nichts mehr von ihm blieb. Nur das Licht des Mondes sollte ihm bleiben. Und die Welt, die er sich selbst geschaffen hatte.


Und so ward Astarias zum König der Feen. Gefangen in der ewigen Nacht. Dazu verdammt, sich nach der Sonne zu sehnen. Der einzig Fühlende in einer Welt ohne Gefühle. Ewig hungrig nach der Erlösung, die ihm niemals zuteilwerden würde. Verurteilt, aus seinen Träumen Leben zu schaffen, an dem er sich niemals erfreuen konnte. Denn nichts würde jemals die Leere in seinem Herzen füllen.