Der Namenlose / Flynn Tarwen / Cuanard Macrae
Für einen Moment stutzte der Feenmann. Ein flüchtiges Zusammenziehen seiner Brauen, ein Verengen der Saphiraugen, während er Flynns Robe nachdenklich musterte. Dann glitt sein Blick zu Cuanard. Dem Bart des Heilers mit dem kupfernen Zierrat und ein leises Seufzen kam über seine Lippen. Er rieb den Daumen und Zeigefinger seiner Hand gegeneinander, als würde er dort ein Prickeln verspüren, dann entspannte sich sein Gesicht und er lehnte sich zurück.
»Wir feiern die Langweile unseres ewigen Daseins«, erwiderte er auf die Frage des Heilers. »Welchen Grund könnte es sonst geben, ein Fest zu veranstalten?«
Er lächelte, aber sein Ausdruck blieb undeutbar. Die Kutschentür schloss sich wie von Zauberhand und die Pferde zogen wie auf ein unhörbares Kommando an. Kein Peitschenknall, kein Wort. Draußen war es still bis auf den Hufschlag und das Rollen der Räder über die gläserne Straße.
Der Feenmann lehnte sich vertraulich nach vorn. »Wenn man davon absieht, dass die weiße Herzogin es darauf abgesehen hat, das Bett Seiner Majestät zu wärmen und keine Mühen scheut, ihn dafür in eine gute Stimmung zu versetzen. Es ist eine Ehre.« Seine Stimme nahm einen Plauderton an. »Die Damen des Hofes streiten sich darum wie ein Rudel Hyänen und es ist herrlich abscheulich, ihnen dabei zuzusehen. So wie wir es heute Nacht tun dürfen.«
Seine Stimme blieb kühl und glatt und doch klang sie bedrohlich. Wie eine dunkle Wolke, die sich im Inneren der Kutsche zusammenzog. Die Fee schlug die Beine übereinander. Das perfekte Bild gepflegter, kultivierter Langeweile. Und doch blieb das Raubtierglitzern in den Augen des Mannes zurück, das davon sprach, dass der König des Feenreiches nicht die wahre Beute dieses Abends sein würde.
Der Herr der Kutsche hatte die Vorhänge nicht wieder geschlossen und draußen zog das Feenreich vorüber. Doch es war keine ruhige, gemächliche Fahrt. Nur ein Streifen war von der Landschaft zu sehen. Aus hellem Weiß und tiefem Schwarz, aus dem Blau des Nachthimmels, in dem die Sterne zu Sternschnuppen verschwammen. Die Geschwindigkeit der Kutsche musste atemberaubend sein. Schneller als die Hufe von gewöhnlichen Rössern sie jemals vorantragen können sollten. Und schließlich versiegte sogar das Geräusch des Hufschlags. Das Rattern der Räder endete. Doch die Fahrt ging voran.
Noah / Siral Al’Shazir
»Shh …«
Die weiße Herzogin hob die Hand und gebot dem Samharen Einhalt. Die Katze sprang von ihrem Schoß und streckte sich gelangweilt. Dann lief sie elegant durch den Raum, nicht ohne den beiden Männern einen letzten Blick zu schenken. Ihre Augen waren seltsam. Sie besaßen keine Farbe, keine Pupillen. Und doch wirkte es, als würde sie die beiden Fremden spöttisch mustern, bevor sie auf das Bett sprang und sich dort mit einem Gähnen niederließ.
»Oh, aber gewiss gebe ich Euch keine Schuld.« Die Herzogin lächelte raubtierhaft und fixierte Noah. »Wie hättet Ihr es wissen sollen?« Ihre Worte waren Honig, süßer, klebriger Honig, der über ihre Zunge rann und sich in das Gemach ergoss. »Ihr konntet es nicht.«
Ihre kalten Eisaugen verengten sich und richteten sich auf eine halb geöffnete Tür, die in ein weiteres Zimmer führte. Was sich darin befinden mochte, blieb den beiden Männern jedoch verborgen.
»Gabria! Komm her!«
Ein Befehl wie ein Peitschenknall und ein Name, der nicht ins Feenreich gehören konnte. Serijsisch, kein Zweifel. So wie es keinen Zweifel daran gab, dass das Mädchen, das den Raum betrat, keine Fee sein konnte. Ihre rosigen Wangen, die großen blauen Augen, das helle Haar … sie war hübsch, doch auf keinen Fall von der makellosen, unberührbaren Schönheit einer Fee. Die junge Serijserin hatte die Hände gefaltet und ihr Blick wirkte entrückt … als wäre sie nicht wirklich anwesend. Ihr weißes Kleid war höfisch, keine Frage, und doch so schlicht, dass es gewiss keine Robe war, die man auf einem Ball tragen würde. Eine Dienerin.
»Du warst ungehorsam, meine Liebe.« Die Herzogin schnalzte mit der Zunge. »Du hast dafür gesorgt, dass mein Gast nicht angemessen bekleidet auf dem Ball erscheinen wird. Und du weißt, was das bedeutet.«
Die Herzogin streckte die Hand aus und ein Halsband erschien in ihrer Hand. Eine Leine hing daran, beides aus silbernem Leder und gewiss nicht bequem zu nennen. Die Fee wies auf den Boden zu ihren Füßen und die Dienerin durchquerte gehorsam den Raum. Ihre Füße verursachten keinen Laut auf dem weichen Teppich, als sie darüber lief und schließlich vor der Herzogin niederkniete. Das Halsband funkelte in der Hand der Fee, als sie sich nach vorn lehnte. Und in seinem Inneren kamen winzige Stacheln zum Vorschein, die gefährlich scharf aufblitzten.
Adameo
Ein Kichern schwebte durch die Luft. War es wieder eine der Nymphenfiguren? Adameo konnte es nicht sagen. Seine Sinne spielten ihm Streiche, als hätte er zu starken Wein auf nüchternen Magen getrunken. Eine der Wachen wandte den Kopf. Die Vogelaugen wirkten unbewegt und teilnahmslos, dennoch lag Schärfe darin, als könnte sie lesen, was in den Gedanken des Schattenwandlers vor sich ging.
An die Dunkelheit der Nacht schloss sich das hell erleuchtete Innere des Schlosses an, als sie die Schwelle des Durchgangs übertraten. Die Wände waren aus weißem Marmor, kalt und glatt. Kristallene Kerzenleuchter trugen weiße Kerzen, deren Flammen keine Farbe besaßen. Welchem Zweck dieser Saal dienen mochte … es war nicht zu erkennen. Kein Möbelstück, keine Sitzgelegenheit, nichts wies auf eine Funktion hin. Als wäre er soeben geschaffen worden, um den Gefangenen in sich aufzunehmen.
Die Wachen führten den Schattenwandler in die Mitte des Saales und der Marmor unter seinen Füßen knackte leise. Rosenranken durchbrachen die winzigen Risse. Sie wuchsen in die Höhe und die Wächter traten zurück, als sich ein neuerlicher Käfig aus dem Nichts bildete. Die Luft roch nach Magie. Seltsam metallisch, wie Blut beinahe, das frisch vergossen worden war. Rosenknospen öffneten sich zu üppigen Blüten, aber sie besaßen keine Weichheit. Die Blütenblätter erschienen scharfkantig. Wie Klingen, die Blut fordern könnten, sobald sie das Fleisch eines Sterblichen berührten. Und sie wisperten. Ein leises, höhnisches Wispern.
»Wartet hier.«
Ein letztes Kommando, dann strebten die Wachen auf den Durchgang zu, durch den sie gekommen waren. Rosen wuchsen, wo ihre Stiefel den Boden berührten. Ranken, die sich über den Boden zogen wie ein Bett aus Dornen und Klingen, das bald den ganzen Raum ausfüllte.
Und über dem Wispern erklang eine Melodie. Ein lockender Gesang, von einer überirdisch schönen Stimme hervorgebracht. Sie sprach zu Adameo:
»Komm, mein Liebster … komm zu mir …«