Schloss Rabenschwinge

In der ewigen Nacht gefangen

Maja neigte sich zum Fenster, um hinauszusehen, und fand die mächtige Form des Schlosses, das sich über ihnen erhob wie ein Berg. So hoch, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um bis zu den spitzen Türmen zu sehen, auf denen Raben saßen wie ein dunkles Heer. Sie spürte unzählige Augen, die sich auf die einsame Kutsche richteten, die sich aus den Bäumen löste. Maja fröstelte und rieb sich über die Arme. Das Rabenwappen der königlichen Familie wehte im Wind. Der gekrönte Rabe auf scharlachrotem Grund. Er erzählte von Kriegen, die unter dem Rabenbanner geführt worden waren, lange bevor die blühende Zeit des Friedens angebrochen war.


Von den Feen berührt. Kein Gedanke ist stärker als dieser, wenn man Schloss Rabenschwinge zum ersten Mal aus der Nähe zu Gesicht bekommt. Gerahmt von den uralten Tannen des Königswaldes erhebt sich das Schloss auf einem Hügel über Sorieska, nur zu erreichen über einen steilen Weg, der sich unaufhörlich nach oben schlängelt.


Wer den Raben von Serijsa einen Besuch abstatten möchte, muss zu ihnen aufsehen. So wie ganz Sorieska zu diesem Bauwerk aufsieht, das wie ein majestätischer Rabe über der Stadt thront.


Man erzählt sich, dass Schloss Rabenschwinge einst weiß wie Schnee gewesen sei. Ein Juwel, für das viele Reisende aus anderen Ländern nach Serijsa gekommen sind, um es nur ein einziges Mal zu erblicken. Doch heute sind die Mauern schwarz. Ein Heer von Raben sitzt auf den Zinnen und beobachtet jeden, der sich den Toren nähert. Eine unheimliche, krächzende Wache, die manchmal in dunklen Wolken aufsteigt, um sich schließlich wieder auf den Türmen niederzulassen.


Nur wer nahe genug an das Schloss herankommt, erkennt, dass die alten Erzählungen einen wahren Kern in sich bergen. Denn dann erkennt man die Einhörner, die aus dem Stein wachsen und sich an die Mauern schmiegen. Die Drachen, die über die Bogenfenster aus Buntglas wachen und die Greifen und Pegasi, die von den Dächern blicken. Dann erscheint das Schloss, als stammte es tatsächlich aus einer anderen Welt.


Keine Nacht währt ewig. Der Wahlspruch der Rabenkönige. Wenn es wirklich der Feenkönig gewesen ist, der in seinem Ärger das Licht aus den Mauern gestohlen hat, so hat er diesen mit Gewissheit verhöhnen wollen. Denn es scheint, als wäre die endlose Nacht über das Schloss hereingebrochen. Als hätte sie beansprucht, was einst dem Licht gehört hat.


Was mag sich hinter den hohen Toren befinden? Beinahe niemand aus der Stadt kommt je hinauf oder wird eingelassen. Nur die Händler und Lieferanten, die dem Königshaus seit langer Zeit verbunden sind, kommen nahe genug an das Schloss heran, um davon erzählen zu können. Und sie tun es nicht - zu sehr fürchten sie den Zorn der Königin, die sich hinter seinen Mauern verbirgt.