Die Kirche des Lichts

Die Macht der Sonne

Maja schluckte und blickte auf die Statue der Hüterin des Lichts, die an der Kopfseite der Gruft unter einer zweiten Sonne aufgestellt war. Ihre Hände waren segnend ausgestreckt, ihre Züge ebenso unter einer Kapuze verborgen wie die der Betenden, die ihren Weg hierher gesäumt hatten. Vor der Göttin stand ein Pult, auf dem ein offenes Buch lag. Die Heilige Schrift der Sonne. Ein Lichtstrahl fiel von der Kuppel aus darauf und illuminierte die goldene Schrift, die prachtvolle Malerei, die das Werk als eines der wertvollsten auszeichnete, die sie je gesehen hatte. Instinktiv zeichnete Maja das Symbol der Sonne über ihr Herz, um die Göttin zu ehren. Ihre Feinde hatten oft gemunkelt, dass die Raben von Serijsa stärker mit dem Herrn der Schatten als mit der Hüterin des Lichts verbunden waren, doch die Ruhestätte ihrer Toten strafte die Gerüchte Lügen.


Herrin des Lichts. Lichtherrin. Lichthüterin. Mutter des Lichts. Lichtmutter. Die Namen der Göttin des Lichts auf Atharys sind vielfältig, allein die Schattenwandler und die Dämonen nennen sie bei ihrem wahren Namen: Dinëis, Göttin des Tages.


Dinëis war es, die Atharys gemeinsam mit ihrem Geliebten Nystraë, dem Herrn der Nacht und der Schatten, erschaffen hat. Ein Geschenk für ihrer beider Sohn. Und noch immer ist es Dinëis, die von den Menschen als Lichtherrin verehrt wird, während Nystraë die Dunkelheit darstellt. Das Verdorbene, Verführerische, das nichts als Unheil und Verderben in der Welt hinterlässt. Der Gott, der die Feen erschaffen hat und damit die Plage, vor der sich die Menschen fürchten.


Der Glaube an die Lichtherrin ist auf Atharys entsprechend am weitesten verbreitet und die Kirche des Lichts, die ihren Sitz in Lylleis hat, kümmert sich um die religiösen Belange dieser Welt. Allein Theramia stellt sich gegen ihre Grundsätze und verfügt über eine eigene Kirche, die sich in einigen Punkten von der »wahren Kirche« unterscheidet.


So bilden in der theramischen Kirche Frauen die Geistlichkeit und die Lichtstimme, die Hohepriesterin des Glaubens, ist ihre höchste Instanz, während der »wahre Glaube« nur männliche Priester kennt, die hohe Ämter innerhalb der Kirche bekleiden. Beiden ist es jedoch gemein, dass sie keusch leben und sich vollkommen dem Glauben an die Lichtherrin weihen.


Der Glaube an die Lichtherrin ist in beiden Versionen der Kirche streng und verfügt über eine Reihe von Gesetzen, vorgeschriebenen Festen und Ritualen, die von den Gläubigen eingehalten werden müssen. Die Kirche besitzt einen großen Einfluss - speziell in Gebieten, die sich von übernatürlichen Kreaturen heimgesucht sehen. Entsprechend werden in den größeren Städten Kathedralen für die Lichtmutter errichtet, die meist höher gebaut und prachtvoller ausgestattet sind als deren Paläste. In den meisten Fällen werden die Kathedralen selbst bei Nacht hell erleuchtet, sodass sie stets wie ein Leuchtfeuer gegen die Dunkelheit wirken.


Die Priester besitzen eine Reihe von kleineren magischen Fähigkeiten. Sie können Licht beschwören und verstärken, Wärme erzeugen und gemeinsam sogar wunderähnliche Effekte erschaffen. Dies geschieht über Gesänge und heilige Töne, die bereits den Novizen vor ihrer Weihe beigebracht werden. Diese Töne und Tonfolgen berühren die Ströme der Lichtmagie auf Atharys und der gängige Glaube in der Kirche besagt, dass sie der Lichtherrin gefallen und diese die Gebete und Lobgesänge belohnt, die von den besonders tief Gläubigen an sie gerichtet werden.


Seltener gibt es Priester, die über wahrhaftige Heilkräfte verfügen. Diese sind tatsächlich das Ergebnis eines Lichtdämons in der Ahnenreihe, werden jedoch als größter Segen der Lichtherrin angesehen.


Gewiss gibt es auch kritische Stimmen, die lautstark behaupten, dass all die heiligen Gesänge und Wundertaten nicht mehr als Magie sind, die von der Kirche gewirkt wird, um ihre Gläubigen zu blenden - diese verbittet sich jedoch eine solche Ketzerei und geht vehement dagegen vor. Was wirklich während der Lehrzeit eines Novizen geschieht und wie die Kirche des Lichts besonders vielversprechende Novizen findet und für sich vereinnahmt, bleibt dicht hinter dem Schleier der Kirche verborgen.


In Gebieten mit einem höheren Einfluss der Dämonen ist es allerdings wahrscheinlich, dass neben Dinëis noch andere Elementgottheiten eine Rolle spielen. So verehren die Tierwandler Gëa, die Erdmutter, als ihre Schöpferin und Mutter der Welt, während die Schattenwandler dem Urglauben verschrieben bleiben, bei dem alle Götter der Elemente gleichberechtigt und mit persönlichen Präferenzen verehrt werden.


Natürlich sieht die Kirche des Lichts solche Strömungen nicht gern und würde nur zu gerne dagegen vorgehen, dass die Lichtherrin auf eine solche Weise beleidigt und missachtet wird.