Avrielle

Ungezähmt

»Das Opfer … es ist Zeit für das Opfer, mein König. Kommt, bevor es zu spät ist.«

Ihr Wispern war scharf und durchdringend. Tausend Kehlen, die mit einer Stimme sprachen. Sie war weiblich. Lockend. Süß. Doch sobald sie erklang, wartete nichts als Schmerz auf ihn. Der Schmerz tausend feiner Krallen, die seine Haut zerrissen, um sich zu nehmen, was das Land verlangte.

Ein letzter Atemzug, dann trat er auf sie zu. Ihre Worte wandelten sich, Frohlocken klang aus ihrem Flüstern. Dann zogen sie sich zurück. Ein Herzschlag verstrich in der Stille, in der er sein eigenes Blut rauschen hörte. Dann schnellten sie auf ihn zu wie Schlangenköpfe und ihre Zähne schlugen sich in sein Fleisch.

Sein Schrei erschütterte den Turm und ließ den Stein erbeben, aus dem das Schloss errichtet war. Aber niemand hörte ihn. Niemand lauschte seinen Qualen, als er in ihrer Umarmung ein Stückchen mehr starb, um Avrielle sein Leben zu schenken.

Herrscher: König Maxyn II., Gemahlin: Königin Lela

Wappen: Der goldene Falke auf goldbraunem Grund

Hauptstadt: Gwydane


Avrielle, das ungezähmte Land. Schroffe Felsen, das aufgewühlte Meer, raue Küsten und der Duft von wilden Kräutern im Wind. Nirgends sind die Menschen der Natur verbundener und näher an ihren Ursprüngen als hier, im Ursprungsland der wilden Hexen.


Der Rest von Atharys blickt mit Skepsis auf dieses Land, das den Geistern der Natur stärker huldigt als der Hüterin des Lichts. Insbesondere die Landbevölkerung feiert Feste, die nicht gänzlich mit der Religion der Lichtherrin in Einklang zu bringen sind und es ist wahrscheinlicher, dass sie geistigen Beistand bei einer Hexe sucht, als sich an die Geistlichkeit zu wenden.


Beinahe jedes Dorf verfügt über eine Dorfhexe, eine Kräuterfrau, die sich mit ihren Tränken und Salben um die medizinische Versorgung kümmert und Rituale abhält, um die Fruchtbarkeit des Landes zu sichern.


Dies führt natürlich zu Gerüchten über ungezügelte Rituale, die im Schein des Vollmondes abgehalten werden und bei denen übernatürliche Dinge vor sich gehen. Ob solche Erzählungen allein in den starken Bieren und Weinen wurzeln, die in Avrielle ausgeschenkt werden, oder einen wahren Hintergrund besitzen, wissen wohl allein die Avrieller selbst. Und diese hüllen sich in geheimnisvolles Schweigen, wenn die Sprache auf ihre Hexen kommt. Ob aus Treue oder aus Furcht vor einem Fluch, könnten wohl nur die Betroffenen verraten. Denn die Flüche der wilden Hexen sind gefürchtet - man sollte ihnen niemals ohne Ehrerbietung begegnen oder sie verärgern.


Kirchen findet man in Avrielle selten, sehr zum Verdruss der Lichthüter von Lylleis, die das Geschehen genau beobachten, deren Hände jedoch gebunden sind. Denn mehr als jedes andere Land beharrt Avrielle auf seine Freiheit und das Recht, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.


Avrieller unterwerfen sich ungern dem Gebot anderer. Sie leben nach ihrem eigenen Kodex, ihren eigenen Regeln und lassen sich nicht einschränken. Frei wie der Wind - das ist der Wahlspruch des Königshauses und die Philosophie, die in jedem Winkel des Landes spürbar ist.


Avrielle ist bekannt für seine edlen Pferdezuchten und seine nicht minder edlen Hunde. Die Avrieller besitzen ein Talent für den Umgang mit dem Tierreich und so sind die Tiere aus den Avrieller Zuchten sehr begehrt.

Der Adel frönt darüber hinaus der Falkenjagd und so ist die Zucht von Jagdfalken ein wahrer Wettbewerb, der jedes Jahr vom Königshaus selbst entschieden wird, das die edelsten Tiere für sich auswählt. Es gilt als große Ehre, vom König erwählt zu werden - und selbstverständlich strebt jede Zucht danach, diese für sich verbuchen zu können.


In Avrielle hält man sich an sein Wort. Lügen, Ränke und Spielereien werden verabscheut und wer dabei erwischt wird, kann sich gewiss sein, im Ansehen zu sinken. Ein Avrieller lebt und atmet seine Ehre. Sieht er diese verletzt oder beleidigt, kann es zu tödlichen Duellen kommen, die zwar vom Königshaus nicht geduldet, jedoch trotzdem im Verborgenen ausgetragen werden.


Ein Land, in dem die Magie so stark ist, dass man sie beinahe im Wind spüren kann, bleibt allerdings nicht von unheimlichen Phänomenen verschont. So geht in jedem Mondlauf zum Neumond blutiger Regen über das Land. Worin dieser Regen wurzelt, bleibt ein Rätsel für die Bevölkerung des Landes, über das die wilden Hexen eisern schweigen, wenngleich sie die Antwort nur zu gut zu kennen scheinen.


Zudem scheint ein Fluch auf dem Königshaus zu lasten, der stets einen frühen Tod für den Erstgeborenen bringt, während der Zweitgeborene zum Thronerben ernannt wird. Dieses Schicksal trifft scheinbar auch die Söhne von König Maxyn und Königin Lela. Denn während sich Prinz Leonyn, der Zweitgeborene, einer tadellosen Gesundheit erfreut, wird Prinz Ethaen von einer rätselhaften Krankheit heimgesucht, die seinen Körper mit Narben überzogen hat.


Man munkelt, dass die Falken von Avrielle den Zorn einer mächtigen Hexe auf sich gezogen haben, doch wenn es so sein sollte, ist niemandem je ein Wort darüber über die Lippen gekommen.


Gwydane

Hexenherz


Malerisch. Dies mag das erste Wort sein, das einem Besucher in den Sinn kommt, wenn sein Auge das erste Mal auf Gwydane fällt. Bereits vom Hafen aus erblickt man den Schlosshügel der Stadt mit dem von Rosen überwucherten Schloss Falkenstein, dem Sitz der Königsfamilie. Wälder schmiegen sich an den Rücken der Stadt und schließen sie in ihre Umarmung, während im vorderen Bereich schroffe, von Wildkräutern bewachsene Felsen zum Meer hinabführen.


Es wirkt, als wollte die Natur Gwydane und das Leben in dieser Stadt schützen. Als hätte sie natürliche Mauern errichtet, die es den Feinden Avrielles erschweren, ihr Herz anzugreifen. Mit Gewissheit war dies ein Grund für König Lowllyn, den ersten Falken von Avrielle, diesen Ort als Zentrum seiner Herrschaft zu erwählen.


Auch im Inneren bleibt der malerische Eindruck erhalten. Ein Gewirr aus engen und weiten Gassen zieht sich durch die zum Schlosshügel ansteigende Stadt. Schmucke Fachwerkhäuser drängen sich dicht an dicht an die Straßen, öffnen sich zu Plätzen oder beherbergen Brunnen und Statuen in ihrer Mitte. Besonders berühmt ist hierbei Lowllyns Statue am Hafen. Ein großes Abbild des kriegerischen ersten Falken, der über das Meer blickt, wo er der Legende nach zum ersten Mal den Fuß auf das Land gesetzt hat. Viele Gwydaner grüßen den König, wenn sie an seiner Statue vorübergehen, und erweisen ihm damit noch immer die Ehre.


Eine besondere Berühmtheit ist der Hexenmarkt. Anders als der gewöhnliche Markt, der sich an den Hafen anschließt, findet der Hexenmarkt auf einem deutlich kleineren Platz statt. Es ist eine abgelegene Ecke von Gwydane, in der es eine Reihe von kleinen Läden gibt, die besondere Waren feilbieten. Tränke. Heilende Salben. Talismane, die Glück bringen sollen. Amulette und Ringe, die vor Flüchen schützen. Tinkturen, die die natürliche Schönheit verstärken. Zauber, die aus dunklem Haar eine sonnenhelle Pracht machen können. Die Hexen von Gwydane sind findige Geschäftsleute und sie wissen, was ihre Kundschaft sich ersehnt. Glänzende Metallschilder hängen neben den Ladentüren und weisen auf die Natur der Läden hin. Die Hexen Avrielles verbergen sich nicht und an schönen Tagen gibt es hier gar eine Reihe von kleinen Ständen, an denen man ihre Waren erwerben kann.


Der Hexenmarkt ist das Herz der wilden Magie. In dem größten der hübschen Fachwerkhäuser kommen die Hexen zusammen und entscheiden über die Belange ihrer Gemeinschaft. Dazu gehört auch, dass Hexen, die sich den dunklen Pfaden der Magie verschrieben haben, nicht in Gwydane geduldet werden. Dennoch gibt es sie. Jene, die geschickt genug sind, sich selbst vor den wachsamen Blicken der lichten Wildhexen zu verbergen. Jene, die Flüche und Gifte verkaufen, wenn ihre Kundschaft bereit ist, genug dafür zu zahlen. Sie agieren selten aus einem der kleinen Läden des Hexenmarktes heraus, aber wer ihre Dienste sucht, weiß, wo er sie finden kann. Oft verdingen sie sich im Schutz eines reichen Gönners und sind gut darin, ihre Spuren zu verwischen.


Ein Ereignis, das in jedem Jahr eine große Besuchermenge in die Stadt lockt, ist der Tiermarkt, der auf einem freien Gelände außerhalb der Stadtmauern stattfindet. Dort stellen Züchter ihre prachtvollsten Rösser, Falken und Jagdhunde aus und sowohl der Adel als auch das einfache Volk kommen zusammen, um diese zu bewundern und schließlich ein Gebot für die edelsten Tiere abzugeben. Niemand züchtet bessere Tiere als die Avrieller - dies ist weithin bekannt. Und so kann die Stadt sich in diesen Tagen nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen.


Wettbewerbe in der Falkenjagd und Pferderennen runden das Ereignis ab, das auch die Innenstadt von Gwydane in ein riesiges Fest verwandelt, das eine Woche lang andauert und vom König selbst eröffnet wird. Auch die königliche Familie präsentiert auf dem Tiermarkt ihre Pferdezucht - und für viele Vertreter des hohen Adels ist es ein Privileg, eines der Tiere der Falken zu erwerben.


Zur Zeit des Tiermarktes zieht es Schausteller und Musiker nach Avrielle, die in der Stadt ihre Künste darbieten. Die berühmten Brauereien öffnen ihre Tore und schenken ihre reichhaltigen Erzeugnisse umsonst an die Festbesucher aus. Es ist die fröhlichste Zeit des Jahres für viele Avrieller und auch Handwerker und Künstler nutzen diese Gelegenheit, um Stände in der Stadt aufzustellen und um die Aufmerksamkeit der zahlenden Gäste zu buhlen. Tavernen und Gasthäuser werben mit ihren besten Speisen und Getränken und wer kein Bett mehr in der Stadt findet, muss sich der Zeltstadt außerhalb von Gwydane anschließen, in der all jene ihr Lager aufschlagen, für die es keinen anderen Platz mehr gibt.


Die Nähe der Hexen ist in Gwydane stets zu spüren. So gibt es eine Vielzahl von kleineren Festlichkeiten und Traditionen, in denen die Ehrung der Natur zu spüren ist. Viele Bewohner Gwydanes stellen Gaben für die Naturgeister vor ihre Türen und niemand wagt es, eine Hexe zu verärgern und damit gar einen Fluch auf sich zu ziehen. Die Bevölkerung Avrielles hält die Wildhexen in Ehren und die Gwydaner sind keine Ausnahme. Die Kirche des Lichts mag es nicht gern sehen, wenn zur Sonnenwende die ganze Stadt in ein Lichtermeer verwandelt wird oder die Gwydaner mit Tänzen, Blumenkränzen und Fruchtbarkeitsritualen den Frühling begrüßen. Doch niemand hier verspürt eine besonders tiefe Bindung an die Kirche - und wenn ein Priester aus Lylleis die Stadt betritt und versucht, das Wort der Lichtherrin zu verbreiten, kann er damit rechnen, dass der Spott nicht lange fernbleiben wird.